Moralisches Missverständnis: Löhne müssen gerecht sein
Moralisches Missverständnis: Löhne müssen gerecht sein

Moralisches Missverständnis: Löhne müssen gerecht sein

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Autor: Ulf D. Posé

Erscheinungsdatum: 01.05.2012

Quelle: managerSeminare | Heft 170 | Mai 2012

Seitenangabe: 33


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Löhne waren nie gerecht und werden es wahrscheinlich auch niemals sein. Wenn es um die Höhe von Bezahlung geht, ist Gerechtigkeit ein völlig ungeeigneter Begriff. Gerechtigkeit ist nach dem römischen Juristen Ulpian der feste Wille, einem jeden Menschen sein Recht zukommen zu lassen – ein Ziel, das für die Wirtschaft vermutlich ruinös wäre. In Sachen Entlohnung kommt Gerechtigkeit daher nur in zwei Sonderformen vor: als Vertragsgerechtigkeit und als Verteilungsgerechtigkeit.

Ein Lohn ist vertragsgerecht, wenn Leistung und Gegenleistung gleichwertig sind: Je gewinnbringender die Arbeit, desto höher müssen auch Lohn und Prämienzahlungen ausfallen. Damit sind wir bei der Verteilungsgerechtigkeit, die oft irrtümlich mit Gleichheit verwechselt wird. Doch Löhne und Prämien gleich zu verteilen, wäre höchst ungerecht. Die individuellen Beträge zum Mehrwert sind nicht gleich, also darf es auch die Entlohnung nicht sein. Es gibt nur eine Ausnahme von der Verteilungsgerechtigkeit: Wenn Löhne ökonomisch Schwacher zu niedrig sind, um Leben und Entfaltung zu ermöglichen, ist es gerecht, sie höher ausfallen zu lassen, als es ihr Beitrag zum Mehrwert eigentlich erlaubt.

Eine Leistungsgerechtigkeit, von der Manager, Politiker und Gewerkschafter gerne reden, gibt es in Lohnfragen nicht. Wäre die geleistete Arbeit ein Maßstab, müsste jeder Bauarbeiter besser bezahlt werden als der Vorstand der Baufirma. Damit stellt sich die Frage, wofür Spitzenverdiener überhaupt so viel Geld bekommen. Für Managergehälter sind drei Faktoren ausschlaggebend, die zwar im eigentlichen Sinne keine Wertschöpfungsbeiträge sind, die aber die Voraussetzung für Wertschöpfung schaffen.

Der erste Faktor ist die strategische Ausrichtung des Unternehmens, also die Frage, ob es Markt- oder Imageführer, Preis- oder Qualitätsführer sein will. Der zweite Faktor ist die Festlegung des Portfolios, also die Frage, mit welcher Produkttiefe und -bandbreite ein Unternehmen auftreten will. Der dritte Faktor ist die Marktbesetzung, und damit die Frage, ob ein Unternehmen regional, national oder gar global aktiv sein will. Wenn Manager in diesen Fragen klug entscheiden, kann das Unternehmen hohe Gewinne einstreichen. Machen sie hier Fehler, dann mögen die Mitarbeiter noch so viel leisten, sie werden nicht erfolgreich sein. Die Entscheidungen von Vorständen sind also sehr viel wert. Und für solch wichtige Entscheidungen erhalten sie dann auch entsprechend viel Geld.

Der passende Begriff, wenn man über Entlohnung spricht, ist Angemessenheit. Angemessenheit orientiert sich an zwei Faktoren: am Marktwert einer Arbeit, der durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird, und an ihrem Nutzen. Hohe wie niedrige Löhne können demnach empörend, aber sehr wohl angemessen sein. Geht jedoch der Gewinn, den ein Mitarbeiter für ein Unternehmen erwirtschaftet, völlig an ihm vorbei, dann ist seine Entlohnung unangemessen.

Dieses Prinzip führt zu seltsamen Erscheinungen: Zum Beispiel erhält ein Zeitarbeitnehmer fürs Regale-Einräumen in der Metall- und Elektroindustrie einen höheren Lohn als fürs Regale-Einräumen im Lebensmittelbereich. Er bekommt also für dieselbe Tätigkeit weniger Geld. Gerecht ist das nicht. Nur spielt eben Gerechtigkeit keine Rolle bei der Entlohnung, sondern der Wertschöpfungsbeitrag. Und der ist beim Einräumen von Wasserkisten nun einmal deutlich geringer als beim Einräumen von Stoßdämpfern.

Dass es in Fragen der Lohnhöhe immer wieder zu Missverständnissen und Streitigkeiten kommt, liegt nicht nur an einem vielleicht fragwürdigen System. Es liegt auch an der intellektuellen Unredlichkeit, präzise zu benennen, was denn eigentlich die Grundlage für die Entlohnung ist: nicht Gerechtigkeit, sondern allein die Angemessenheit im Sinne des Marktes. Warum jedoch Manager auch dann noch sehr viel Geld erhalten, wenn sie unternehmensschädliche Entscheidungen fällen, bleibt ewig rätselhaft. Denn das ist weder gerecht noch angemessen.

Ulf D. Posé

DE, Mönchengladbach

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